Zeitzeugnisse gesamt
Nach Bundesland geordnet; innerhalb jedes Bundeslandes antichronologisch sortiert
Auf dieser Seite finden Sie Zeitzeugnisse aus den ehemaligen DDR-Bezirken, die heute die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bilden.*
Die veröffentlichten Berichte beruhen auf den persönlichen Erinnerungen von Menschen, die als Kinder in der DDR während des Kalten Krieges und in den Jahren danach zur Kur geschickt wurden. Zum Schutz der Privatsphäre wurden Namen, Orte und weitere personenbezogene Angaben anonymisiert oder durch Platzhalter (z. B. „XXX“) ersetzt. Textauslassungen sind durch runde Klammern gekennzeichnet, zum Beispiel: (ausgelassener Text).
Alle Schilderungen wurden originalgetreu wiedergegeben und nur zur Wahrung der Anonymität sowie zur besseren Lesbarkeit und Einordnung angepasst. Änderungen sind durch eine Anmerkung der Redaktion kenntlich gemacht.
Die Inhalte geben subjektive Erfahrungen wieder und stellen weder eine rechtliche Bewertung noch eine historische Vollständigkeit dar.
Die Berichte werden mit ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Personen veröffentlicht. Eine Weitergabe, Veröffentlichung oder Vervielfältigung ist daher ohne Zustimmung nicht gestattet. Einen herzlichen Dank an alle, die ihre Erlebnisse vertrauensvoll teilen und den bisher verschwiegenen Geschichten vieler Kinder eine Stimme geben.
*Bisher wurden noch keine Zeitzeugnisse zu den Kinderkuren in Ost-Berlin (DDR) und den DDR-Bezirken Sachsens eingereicht.
Triggerwarnung: Die folgenden Berichte enthalten Schilderungen von psychischer Belastung und physischer Gewalt der Kinderkuren in der DDR; schwere Grenzverletzungen wie sexualisierte Gewalt sind in einem gesonderten Themenbereich dokumentiert. Diese Inhalte können emotional belastend sein.
Bitte achte auf dein Wohlbefinden: Atme einmal tief durch, nimm deinen Körper im Hier und Jetzt wahr und mache eine Pause, wenn es dir nicht gut geht. Du kannst die Berichte in Abschnitten lesen und jederzeit unterbrechen, um dich nicht zu überfordern.
Berlin
Bisher wurden noch keine Zeitzeugnisse zu den Kinderkuren in Ost-Berlin (DDR) eingereicht.
Brandenburg
Bericht eingegangen: Mai 2025
Zentrale Erlebnisse: Körperliche und seelische Gewalt, Schutzlosigkeit, Rückzug, traumatische Langzeitfolgen
- Kurort: DDR-Bezirk Neubrandenburg
- Kurjahr: 1980
- Kurkind: 9-jähriges Mädchen
- Anzahl der Kurerfahrungen: 1. Kur (insgesamt 1)
- Grund des Kuraufenthalts: Gewichtszunahme
Triggerwarnung – besonders belastender Bericht: Dieses Zeitzeugnis enthält belastende Schilderungen von Erniedrigungen, Zwangsmaßnahmen und Isolation. Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt sind im gesonderten Themenbereich dokumentiert.
Bitte achte auf dein Wohlbefinden: Atme einmal tief durch, nimm deinen Körper im Hier und Jetzt wahr und mache eine Pause, wenn es dir nicht gut geht. Du kannst den Bericht in Abschnitten lesen und jederzeit unterbrechen, um dich nicht zu überfordern.
Ich war 1980 im Alter von 9 Jahren im Kinderkurheim XXX (...). Wir wurden mit dem Bus von XXX aus dorthin gebracht.
Es herrschte ein sehr rauher Umgangston, sehr strenge Erzieherinnen, kein freundliches Wort, wir mussten nur gehorchen. Zuerst wurde mir mein Kuscheltier abgenommen, alles was an zuhause erinnert wurde weggeschlossen.
Jeden Morgen mussten wir im Keller alle antreten und wurden nackt mit einem Schlauch eiskalt abgespritzt am ganzen Körper. Niemand durfte dabei sprechen. Ich habe mich ganz doll geschämt so nackt dort zu stehen und beobachtet zu werden.
Es gab einen großen Speisesaal, wir durften nicht sprechen beim essen, selbst wer geflüstert hat musste als Strafe hinter seinem Stuhl stehen und zum Boden schauen. Es gab einen Essenszwang, ich musste täglich einen Teller mit Butter essen, vor lauter Ekel habe ich immer wieder erbrochen. Erbrochenes musste wieder gegessen werden, ich habe heimlich meine Hosentaschen mit Essen vollgestopft. Bin ich erwischt worden, gab es Strafen wie doppelte Portion Butter essen und solange sitzen bleiben bis alles aufgegessen ist.
Es gab einen großen Schlafsaal mit 10 Betten, weißes Eisengestell, ich lag im ersten Bett links neben der Tür. Jüngere Kinder wurden gequält von den älteren. Mir wurde im Schlaf oft ein Kissen ins Gesicht gedrückt, ich wurde am Hals gewürgt. Die eigene Wut und Verzweiflung wurde an den kleinen Kindern ausgelassen. Niemand wurde beschützt, niemand hat geholfen, jeder hatte selbst großes Angst. Ich habe im Bett viel geweint und war völlig verzweifelt, ich hatte jede Nacht Panik. Wenn ich beim weinen erwischt wurde oder mich jemand verpetzt hat musste ich mich in die Mitte des Raumes stellen und die Erzieherinnen haben alle Kinder animiert mich als “alte Heulsuse” zu beschimpfen. Danach habe ich nie wieder geweint.
Nachts durfte niemand auf Toilette. Ich habe manchmal ins Bett gemacht. Dann musste ich mich morgens mit dem nassen Bettlaken wieder in die Mitte stellen und alle Kinder im Kreis um mich herum sollten mich auslachen und beschimpfen mit „iiih du alter Bettsecher“ etc. Von da an hatte ich immer Angst einzuschlafen, hab mich stundenlang wach gehalten, um alles unter Kontrolle zu haben.
Wir mussten jede Woche alle zusammen eine Postkarte nach Hause schicken, die uns von einer Erzieherin im Gruppenraum diktiert wurde, immer mit dem gleichen Inhalt. „Liebe Eltern, hier ist es schön. Wir spielen viel und ich habe viele Freunde gefunden“.
Einmal habe ich auf die Karte geschrieben, dass ich ganz doll Heimweh habe und dass sie mich bitte abholen sollen, weil ich es nicht mehr aushalten kann. Die Karte wurde sofort zerrissen und ich bestraft, weil ich undankbar war. Ich kam in Dunkelhaft, einem Raum im Turmzimmer ohne Licht. Dort musste ich stundenlang alleine auf dem Boden sitzen.
Die Kinder wurden immer wieder dazu angehalten, Regelverstöße von anderen bei der Erzieherin zu melden. Dafür bekamen sie ein Lob. Das hatte zur Folge, dass ständig Kinder zu unrecht gemeldet und bestraft wurden, jeder wollte mal einen Moment positive Aufmerksamkeit.
Die Erzieherinnen haben mir immer wieder gedroht “du darfst erst nach Hause, wenn du 5 kg zugenommen hast”. Und bei jedem Wiegen habe ich immer mehr abgenommen. Hab fast jede Mahlzeit, die mir reingestopft wurde erbrochen. Ich musste stundenlang am Tisch sitzen, bis der Teller leer war, oft bis zur nächsten Mahlzeit und hatte heftigste Magenkrämpfe und dauerhafte Übelkeit. Oft genügte schon ein Blick auf den Teller und ich musste mich übergeben. Ich habe dabei die Muster im Fußboden mit den Augen nachgemalt, um mich abzulenken.
Einmal habe ich ein Päckchen von meiner Mutter bekommen. Ich weiß noch genau, dass ich mich damit in den Schlafsaal alleine zurückziehen wollte, um es in Ruhe zu öffnen. Aber das durfte ich nicht. Ich musste es vor der ganzen Gruppe auspacken. Meine Mutter und meine beiden Omas hatten mir eine Postkarte geschrieben, die musste ich laut vorlesen vor allen Kindern (die Erzieherin meinte, da kannst du gleich mal lesen üben). Ich las stockend, stotternd vor Scham, weil ich es nicht wollte, es war doch meine Post, nur für mich. Ich wurde von der ganzen Gruppe ausgelacht. Ich war so tief verletzt und mir rannen die Tränen übers Gesicht, das Heimweh war so schlimm, dass ich dachte ich überlebe es nicht. Ich hatte Todesangst nie wieder von dort wegzukommen. In dem Päckchen waren Süßigkeiten, die ich sofort abgeben musste – die Erzieherin hat alles aufgeteilt. Nur einen Buntstift durfte ich behalten. Den habe ich heimlich mit ins Bett genommen, es war das einzige, was mir von meiner Mutter geblieben ist.
Als ich mich wieder einmal übergeben habe und stundenlang vor diesem Teller saß, weil ich es nicht geschafft habe, das Erbrochene zu essen
Hinweis: An dieser Stelle wird der Missbrauch beschrieben, der aus Sensibilität gegenüber der Leserin/dem Leser unter dem Themenbereich „Sexualisierte Gewalt“ eingefügt ist. Bitte beachten Sie, dass die Inhalte möglicherweise belastend sein können.
Die Reaktion meiner Mutter:
‚Als du nach 6 Wochen wiederkamst mit dem Bus war ich völlig geschockt. Du bist aus dem Bus gestiegen, total verstört, völlig bleich, abgemagert und bist ohne uns zu begrüßen nur noch gerannt, gerannt, gerannt… Dein Gepäck hast du zurückgelassen und wolltest nur noch weg. Die nächsten Wochen hast du ständig Mahlzeiten erbrochen, hast Essen komplett verweigert, hast dich völlig zurückgezogen, in der Schule hast du kaum noch mit jemanden gesprochen und saßt nur noch in deinem Kinderzimmer allein und wolltest niemanden sehen. Du hattest ganz viel Heimweh in der Kur.‘
Meine Eltern haben nie erfahren, was passiert ist. Ich hatte Panik, dass ich von meinen Eltern weg muss. Ich musste schweigen und dieses Schweigen habe ich erst in meiner Therapie durchbrochen.
Hinweis: Das Zeitzeugnis wurde in Brandenburg eingeordnet.
Bericht eingegangen: Mai 2025
Kinderkur und Wochenkrippe sowie die fehlenden Erinnerungen
- Kurort: DDR-Bezirk Neubrandenburg
- Kurjahr: circa 1986/87
- Kurkind: etwa 7 oder 8-jähriges Mädchen
- Anzahl der Kurerfahrungen: 1. Kur von insgesamt 1
- Grund des Kuraufenthalts: unbekannt
„(...) ich habe lange nicht gewusst wo diese (Anmerkung der Redaktion: Kinderkureinrichtung) gewesen sein soll in der ich war. hatte nur ein Bild und eben im Internet erkannt... (...)
ich weis nicht wann genau ich da war (...) ggf bin ich so 7 oder 8 Jahre alt (...) also muss es so 1986/87 gewesen sein. oder vielleicht doch älter oder jünger? (...)
Ansonsten erinnere mich nur wenig an die Zeit dort. Auch ob es 4 oder 8 Wochen waren weis ich nicht. Ich weis nur das, ich in meinen Heimatort von meiner Mutter am Bahnhof einer fremden Frau übergeben wurde und diese schweigsame Zeit im Zug für mich ewig gedauert hatte. Und ich mich nicht auskannte, wohin es mit mir ging.
Von der Zeit dort kann ich mich erinnern, dass wir einmal ein Spiel im Wald machten. Eine Schnipseljagd, wo wir Kleineren von den Großen gefunden werden mussten. Die Erzieherinnen die bei uns waren, hörten etwas und wiesen uns an, uns in den Schnee zu legen um uns zu verstecken. Wir lagen ewig dort im Schnee mitten im Wald rum, gefühlte Stunden, bis wir alle durchgefroren waren. Irgendwann gaben wir oder besser gesagt die Erzieherinnen auf, da wir alle vor Kälte jammerten. als wir zurück kamen und durch den Hintereingang vom Wald reinkamen, stellten wir fest, dass die Großen bereits seit Längeren zurück sein mussten. sie saßen schon beim Essen und Tee.
Eine weitere Szene an die ich mich erinnere, ist aus dem Speisesaal. Wir sagen das Lied "wir haben Hunger, Hunger, Hunger...essen Fliegen Fliegen Fliegen usw." und ich glaube, wir mussten immer alles aufessen. Ich wurde ja dort hingeschickt weil ich so dünn war.
Eine letzte Erinnerung war von einer Nacht, wo die Großen unruhig im Flur herumliefen und ich glaube, irgendwie ein bissl rebellierten. Ich lag in meinem Bett und hatte aufgrund dieses Lärmes Angst. Ein Mädchen wollte das ich mit raus auf den Flur komme. Kurz bin ich mit raus, aber verkroch mich dann doch wieder ängstlich in das Bett.
Allerdings habe ich keine Erinnerung wie dieses Zimmer aussah oder was ich sonst noch dort erlebt habe. Nur das es Winter war und diese wenigen Szenen.
Ich weis nicht, ob ich was verdränge oder ob ich die ganze Zeit dort in eine Art Schockzustand war Schockzustand deswegen, weil ich bereits aus meiner Wochenkrippenzeit ( mit 6 Monaten bis zur Schule, von Mo-Fr. über Nacht in dieser Wochenkrippe/Kindergarten) Verlustängste hatte. Aber wie ich aus anderen Geschichten rauslese, hat kaum jemand richtige Erinnerungen an diese Kurheime. Was glaubt ihr warum das so ist? Ich kann mich an Ferienlager und andere frühe Erlebnisse sehr gut erinnern. Nur nicht an diese Zeit. Aber an diese Wochenkrippenzeit auch nicht wirklich. Nur das ich es gehasst habe und immer schrecklich weinte, wenn mich meine Mutter teils Sonntagabend dort wieder für die ganze Woche abgab.
Ich habe noch ein Bild* von uns Kindern auf einer Treppe vor der (Anmerkung der Redaktion: Kinderkureinrichtung). Würde mich sehr freuen, wenn ihr von eurer Zeit dort etwas berichten könnt. Ggf kommen dann Erinnerungen hoch. Alles Liebe. (...)“
*Das erwähnte Bild liegt nicht vor.
Mecklenburg-Vorpommern
Bericht eingegangen: Oktober 2025
Bundesland Mecklenburg-Vorpommern
Kinderkur in der DDR 1980er Jahre: Jugend, Alltag, Ernährung, Körperbild und soziale Beziehungen
- Kurort: DDR-Bezirk Rostock
- Kurjahr: 1987
- Kurkind: 12-jähriges Mädchen
- Anzahl der Kurerfahrungen: 2. Kur (insgesamt 2)
- Grund des Kuraufenthalts: „Untergewicht“
Bericht 2. Kur
1987 wurde ich dann erneut auf Kur geschickt. Diesmal auf „Mästkur“, da ich für meine Größe untergewichtig war und zu diesem Zeitpunkt immer noch meistens wenig Freude am Essen hatte. Ich wurde immer als zu dünn gehänselt.
Mit 12 Jahren nimmt man die Dinge schon etwas anders wahr und wird sicher auch anders von den Betreuungspersonen behandelt. So viele Dinge sind mir aus XXX aber trotzdem auch nicht in Erinnerung geblieben. Wenn ich so andere Berichte auf Social Media zu diesem Kurheim gelesen habe, denke ich, ich habe damals noch Glück gehabt.
In schlechter Erinnerung ist mir bei XXX natürlich das Thema Essen geblieben. Im Ergebnis bin ich ironischerweise dann auch mit weniger auf der Waage wieder nach Hause gekommen. Ich erinnere mich aber an keine konkreten Mahlzeiten außer dem Frühstück. Es gab Brötchen oder vielleicht auch Weißbrot und ich habe sie bevorzugt mit Rübensirup gegessen, den mochte ich wenigstens. Was eklig war, war die Ameisenstraße in den Schränken, in denen das Frühstückszeug aufbewahrt wurde. Am Sirup und der Marmelade klebten dann auch regelmäßig Tierchen. Wir mussten zwar immer saubermachen, aber das hat nicht geholfen. Wir schliefen in diesen barackenartigen Gebäuden, bestimmt mindestens 6 Mädchen auf dem Zimmer. Den Stil fand ich damals von außen zumindest ganz schön. Holz und freundlich weiß, Bäderarchitektur. Da ich schon mehrmals mit meinen Eltern vorher im XXX Teil XXX in Urlaub war, habe ich mich dort auch nicht ganz so fremd gefühlt, auch wenn es extrem weit weg von Zuhause war.
Es gab glaub ich Frühsport, definitiv ständig Fußgymnastik (ich kann heute noch Dinge mit meinen Zehen aufheben) und die elendige tägliche Bürstenmassage jeden Morgen. Mache ich heute freiwillig, damals tat es einfach nur weh und war extrem unangenehm. Ich habe aufgrund schlechter Körperhaltung auch Rückenschule. Ein Bewegungs-Spruch ist mir hängen geblieben. „Allah ist groß, Allah ist mächtig, Allahs Bauch ist 3 Meter sechzig. Allahs Bauch ist unser Ziel, drum essen wir so viel.“ Hat ja nun nicht gefruchtet.
Es gab ein Sportfest, es gab Spaziergänge ans Wasser und in den Ort, ich glaube auch mal ein Unterhaltungsprogramm. Briefe/Karten durften wir alleine schreiben. Ob sie kontrolliert wurden, weiß ich nicht. Aber scheinbar ist alles zuhause angekommen. Ich habe von Heimweh geschrieben und dass ich nach Hause möchte. Und dass die Jungs doof sind. Zum letzteren habe ich dann auch eine schriftliche Standpauke von meinem Vater zurückbekommen. Diese Briefe gibt es glaub ich noch irgendwo. Wir hatten in der Zeit auch Unterricht, dann mit den Jungen zusammen, aufgeteilt nach Klassenstufen.
Alles in allem war die Zeit nicht schön, aber aushaltbar. Durch Ferienlageraufenthalte war ich auch den Abschied von Zuhause inzwischen etwas gewohnt. In diesem Alter können sich Kinder ja dann auch untereinander schon etwas Beistand geben. Unsere Gruppe hat jedenfalls gut zusammengehalten und es wurde soweit ich mich erinnere niemand gemobbt. Auch der Kontakt zu den Jungs hat uns sicher etwas von der Situation abgelenkt. Ich war aber dann froh, wieder zuhause zu sein, auch wenn der Abschied von den neuen Freundinnen schwerfiel.
Hinweis: Das Zeugnis wurde in Mecklenburg-Vorpommern eingeordnet. Vor dieser zweiten Kur fand eine erste Kur im DDR-Bezirk Suhl statt. Den Bericht von Oktober 2025 dazu findest du auf den Unterseiten unter Thüringen → Kinderkur in der DDR 1980er Jahre: Frühkindliche Trennungen, Ängste, Heimweh und bleibende körperliche und seelischen Folgen.
Bericht eingegangen: Mai 2025
Bundesland Mecklenburg Vorpommern
Kinderkur in der DDR 1960er Jahre: Zwang, Strafen, Krankheiten, Krankenhausaufenthalt und väterliche Abholung
- Kurort: DDR-Bezirk Rostock
- Kurjahr: 1966 oder 1967
- Kurkind: 5-jähriges Mädchen
- Anzahl der Kurerfahrungen: 1. Kur (insgesamt 1)
- Grund des Kuraufenthalts: „schlechter Esser“
Triggerwarnung – besonders belastendes Zeitzeugnis: Dieses Zeitzeugnis enthält belastende Erinnerungen an Zwang, Strafen, Demütigungen, Isolation, Heimweh und einen Krankenhausaufenthalt.
Bitte achte auf dein Wohlbefinden: Atme einmal tief durch, nimm deinen Körper im Hier und Jetzt wahr und mache eine Pause, wenn es dir nicht gut geht. Du kannst den Bericht in Abschnitten lesen und jederzeit unterbrechen, um dich nicht zu überfordern.
Es gibt keine Unterlagen mehr dazu und von meinen Eltern habe ich auch nur noch erfahren können, dass ich im Alter von 5 Jahren verschickt wurde.
Es gab damals noch sogenannte Vorschuluntersuchungen vor der regulären Einschulung.
Ich war ein agiles, gesundes Kind und auch auf dem, für die Einschulung notwendigen Entwicklungsniveau. Aber ich war sehr schlank und ein sogenannter "schlechter Esser" und so kam es zu dieser Entscheidung. Meine Eltern haben es mit Sicherheit gut gemeint, darüber hinaus handelten sie auch auf Empfehlung des entsprechenden Kinderarztes. So musste ich in ein Kinderkurheim der ehemaligen SV (Sozialversicherung) der DDR. Da meine Mutter bei der SV tätig war, kam es zu dieser Ortsauswahl. Ich weiß nicht mehr ob es im (...) 1966 oder Anfang (...) 1967 war. Das Wetter war sehr kalt, stürmisch und nass. Im (...) '67 wurde ich dann 6 Jahre alt und im September '67 eingeschult.
Geplant waren 6 Wochen Kuraufenthalt.
Ich erinnere mich an einen Zug in meiner Heimatstadt, in den ich einsteigen musste. Drin war es sehr laut, es waren sehr viele andere, mir völlig unbekannte Kinder da. Meine Mutter stand auf dem Bahnsteig und ich musste mich lt. Anweisung einer Begleitperson sofort im Zugabteil setzen.
Ich durfte nicht mehr ans Fenster zum Winken.
Weitere Erinnerungen an diese lange Fahrt habe ich keine.
Im Kurheim erinnere ich mich an ein Zimmer mit sehr vielen Betten. Wir mussten unsere persönlichen Sachen abgeben und bekamen sie später zugeteilt.
Ich erinnere mich an Kleidung, die gar nicht mir war, aber ich musste alles tragen. Es passte mir nicht.
Toilettengänge waren nur drei Mal am Tag, genau nach den Mahlzeiten erlaubt. Die Toiletten waren hinter dem Speisesaal.
Zu den Mahlzeiten gab es meist irgendwelchen undefinierbaren Brei und es musste immer und alles aufgegessen werden. Wer es nicht in der entsprechenden Zeit schaffte, der blieb sitzen bis der Teller leer war.
Manche Kinder erbrachen sich und mussten das Erbrochene danach essen.
Ich war regelmäßig eine von wenigen Kindern, die im Speisesaal sozusagen "nachsitzen" mussten.
Wir waren dann alleine.
Die anderen Kinder hatten die Toilettenrunde schon hinter sich und waren in den Zimmern.
Natürlich mussten wir Langesser dann auch noch auf die Toilette, was allerdings dann aber verboten war.
Darüber hinaus gab es nur an der Eingangstür zum Vorraum/ Waschraum der Toiletten das Toilettenpapier. Es hing oben im Türrahmen und wurde stückweise von den Erwachsenen an die Kinder ausgegeben.
Für 5-Jährige nicht erreichbar!!
So kam es, dass ich eingenässt habe.
Nun wurde mein Fauxpas natürlich schnell bemerkt, oder vielleicht habe ich es auch gebeichtet?
Ich bekam den Befehl mich auf der Stelle- es war im Treppenhaus auszuziehen und im Waschraum meine Unterwäsche selbst auszuwaschen.
Eine dieser dicken grau uniformierten "Erzieherinnen" hängten dann meine Wäsche auf einen Heizkörper, eben in diesem Treppenhaus und ich musste mich, so wie ich war, daneben stellen, bis sie trocken ist.
Ich fühle heute noch diese unendliche Scham, diese Demütigung und Hilflosigkeit, als ich dort nackt stand und andere Kinder gingen hänselnd an mir vorbei.
Mir war sehr kalt und ich weiß nicht wie lange ich dort stand. Inzwischen war es dunkel und still im Haus und alle anderen Kinder schliefen.
Erlöst wurde ich dann von einer Erzieherin, die nur nachts da war. Sie gab mir ein Nachthemd und schickte mich zum Schlafen. Auch im Bett fror ich noch lange.
Wer in der Nacht austreten musste, dem stand ein Nachttopf zur Verfügung. Einer für alle.
Er wurde abends mitten in den Schlafraum gestellt und war am Morgen übervoll.
Nach und nach wurden Kinder krank. Sie hatten sich mit Masern u/o Keuchhusten infiziert und wurden dann mit einem Krankenwagen abgeholt.
Ich hatte von Anfang an furchtbares Heimweh.
Alles machte mir Angst. Warum musste ich an diesen grauenhaften Ort. Was hatte ich falsch gemacht....?
Ich weinte jede Nacht- heimlich. Wenn es bemerkt wurde, galt man als ungehorsam und musste in der Ecke stehen.
Ich erinnere mich noch an einen Gang zum Strand.
Der Weg ging durch einen kleinen Wald direkt gegenüber des Heimes.
Nur dort hatte ich einen Augenblick das Gefühl frei atmen zu können. Es war sehr kalt und hat geregnet. Ich kam kurz auf die Idee wegzulaufen, aber ich wusste gar nicht in welche Richtung....
Im Heim waren ständig Angst und Heimweh präsent. Wir wurden mit militärischem Drill durch die Tage geführt und öfter auch körperlich gezüchtigt. Manchmal wurden nur Fragen schon bestraft.
Wir waren keine Kinder, wir waren Häftlinge.
So vergingen die Tage....
Nichts Liebevolles, kein nettes Wort, kein Lächeln.....grau uniformierte böse Frauen mit zerfurchten starren Gesichtern erteilten laute Befehle.
Irgendwann bekam ich Fieber und wurde in einem Einzelzimmer ins Bett gepackt. Ich bekam Essen gebracht und mein Töpfchen wurde geleert. Ansonsten war ich 24 Stunden völlig allein.
Ich bin heimlich aufgestanden und habe die Zimmertür geöffnet und einen Spalt aufgelassen. Ich hatte Angst, dort irgendwie vergessen zu werden. Ich hatte Albträume in denen alle Kinder nach Hause fuhren, nur ich war noch in dieser Kammer, ...alleine und vergessen.
Auch ich wurde dann mit einem Krankenwagen in ein Krankenhaus gefahren.
Nach der Kur erfuhr ich, dass es in XXX war. (Das Krankenhaus gibt es inzwischen nicht mehr.)
Dort lag ich wieder in einem großen Zimmer mit vielen Kindern. Einige waren mir noch bekannt.
Dort dufte ich auf Toilette, wann immer ich musste. Das Essen musste nicht aufgegessen werde. Die Schwestern waren sehr nett und machten Spaß mit uns und wir hatten unsere Koffer mit unserer Kleidung bei uns. Damals gab es kaum Telefone. Ein Brief von meinen Eltern, wurde mir im Kurheim zur Hälfte (?) vorgelesen, weil dann Nachtruhe war.
Ich habe den Brief nie wiedergesehen.
Daher hatte ich den Gedanken aufgegeben, je wieder nach Hause zu kommen........die Bilder von zu Hause waren alle schon so weit weg und verblassten.
Ich war so unendlich traurig und alleine.
Aber hier im Krankenhaus war es trotzdem besser, hier wurde ich getröstet, hier war man nett zu mir. Wenn es schon sein muss, dann konnte ich ja vielleicht hier bleiben.....????
Ich weiß nicht wieviel Zeit verging...Eines Abends kam eine der Schwestern ins Zimmer, holte meinen Koffer unter dem Bett vor und bat mich, mich schnell anzuziehen. Ich würde jetzt abgeholt werden.
Schlagartig waren diese grenzenlose Angst und der furchtbare Druck in meinem Bauch wieder da, denn ich befürchtete, zurück in dieses Heim zu müssen. Ich habe geweint und mich sehr gesträubt.
Die Worte der Schwester, dass mich mein Vater abholt, drangen nur sehr langsam zu mir durch.
Das Gefühl von Freude, dass sich meine Eltern an mich erinnern, vermischt mit einer furchtbaren Angst davor, dass es eine Lüge ist, spüre ich auch heute noch.
Ich erkannte den Mann am Ende der Treppe nur langsam, aber es war tatsächlich mein Vater. Neben ihm stand ein anderer Mann, es war der Fahrer des Dienstwagens. Mit den Worten: "Jetzt fahren wir nach Hause", nahm er mich an die Hand und stieg mit mir in einen alten Wartburg ein. Mein Vater war zwei Tage auf einer betrieblichen Dienstreise in XXX und hat entschieden, meinem Aufenthalt nun ein Ende zu setzen.
Wir fuhren über Nacht nach Hause. Ich hatte Angst zu schlafen, alles war so unwirklich...
Als meine Mutter am nächsten Morgen meinen Koffer auspackte, war dort eine kleine Seemannspuppe drin. Sie freute sich, über die Mitgabe der Kurklinik.
Ich habe die Puppe sofort meinem kleinen Bruder geschenkt.
Inzwischen bin ich 64 Jahre alt.
Über die Jahre kamen langsam Erinnerungen zurück und formten ein eher unvollständiges Bild.
Aber die Gefühle die dieses Bild begleiten, sind nach so vielen Jahren noch sehr präsent.....und sie tun noch immer weh.
Die acht Wochen auf XXX haben mein Leben, ja meine Entwicklung geprägt. Mir wurde ein Teil unbeschwerte Kindheit genommen.
Ich habe mein Grundvertrauen in Menschen verloren.
Ich verlasse mich am liebsten nur auf mich und das was ich selbst tue.
Es ist sehr schwer mein Vertrauen zu erlangen. Meine Familie und mein Zuhause sind mir heilig und ich habe Verlustängste.
Vor zwei Jahren habe ich nach einer Recherche das ehemalige Kurheim in XXX gefunden.
Es ist eine schöne alte Villa, saniert und in Privatbesitz/ Ferienunterkunft. Ich stand eine Weile davor und mein Mann fragte mich worauf ich denn warte.
Ich hatte irgendwie gehofft, ich würde auf eine dieser grauen bösen Frauen treffen, um ihr ins Gesicht zu spucken.....
Ich weiß, dass viele andere Kinder noch sehr viel Schlimmeres während dieser Kuraufenthalte miterleben mussten als ich.
Aber auch meine Geschichte soll zur Aufdeckung dieser Zeit dienen und mit dazu beitragen, dass Pädagogik Kinderseelen nicht brechen darf!!!
Ich erwarte nicht, dass irgendjemand für das Geschehene die Verantwortung übernimmt.
Aber es muss zukünftig verhindert werden!
Hinweis: Das Zeitzeugnis wurde in Mecklenburg-Vorpommern eingeordnet.
Sachsen
Bisher wurden noch keine Zeitzeugnisse zu den Kinderkuren in den DDR-Bezirken Sachsens eingereicht.
Sachsen-Anhalt
Bericht eingegangen: November 2025
Bundesland Sachsen-Anhalt
- Kurort: DDR-Bezirk Halle
- Kurjahr: 1965/66 oder 1966/1967
- Kurkind: ca. 8-jähriges Mädchen
- Anzahl der Kurerfahrungen: 1. Kur (insgesamt 1)
- Grund des Kuraufenthalts: „Untergewicht infolge Lungenerkrankung“
Kinderkur in der DDR 1960er Jahre: Notwendigkeit durch Erkrankung, Vernachlässigung, Zwang, Drohung, Unrechtsbewusstsein und mütterlicher Besuch
An das genaue Jahr erinnere ich mich nicht mehr. Ich bin im (...) 1958 in XXX (damals zum Bezirk Halle gehörig) geboren und war zum Zeitpunkt der Kur ein Kind im Grundschulalter. Mit Hilfe meines Zeugnisheftes, in dem auch meine Fehltage verzeichnet sind, kann ich den Zeitraum ungefähr eingrenzen: In der zweiten Klasse (Schuljahr 1965/66) sind 45 Fehltage verzeichnet, im dritten Schuljahr (1966/67) sogar 61 Tage. Danach normalisierten sich meine Fehlzeiten. So nehme ich an, dass ich in der 3. Klasse war, als ich zur Kur geschickt wurde, also etwa acht Jahre alt.
Dass ich vorher öfter krank war und sogar im Krankenhaus (damals: Polyklinik) lag, weiß ich noch. Ich war sehr dünn, und erinnere mich dunkel, dass einmal meine Mutter, als sie mit mir in der Stadt unterwegs war, sogar deswegen angesprochen wurde – was ihr und mir peinlich war. Sie war wohl verärgert über die Übergriffigkeit der Bemerkungen, ich war beschämt, weil ich mich kritisiert fühlte. In der Schule ließen meine Leistungen auffällig nach. Weil ich hustete und wenig aß, schickte mich schließlich der Hausarzt zum Röntgen, wobei man „Schatten“ auf meiner Lunge entdeckte. Es folgten der oben erwähnte Krankenhausaufenthalt und die Kur.
Die Kur dauerte sechs oder acht Wochen und sollte meiner Erholung dienen, vor allem sollte ich dort zunehmen und kräftiger werden. Meine Mutter kaufte und nähte mir extra neue Kleidung für diesen langen Zeitraum, jedes Kleidungsstück musste ein Namensschildchen bekommen. Ich sehe noch vor mir, wie sie abends, wenn ich ins Bett musste, nähend am Tisch saß und weiß noch, dass ich ein Kleid bekam, auf das ich besonders stolz war: blau mit schwarzen Glitzerperlen bestickt, die sie von einem ihrer Kleidungsstücke abgetrennt hatte.
Dann erinnere ich mich an die Ankunft in XXX. Der Name des Ortes hat sich mir eingeprägt, den Namen des Heimes weiß ich nicht mehr. Es war jedoch eine große Villa, die einmal einem (...) Fabrikanten gehört hatte, wie man uns erzählte, mit einem Park und einem (...) darin. In einem der größeren Räume gab es eine Grotte, die mich sehr beeindruckte. Ansonsten erinnere ich mich noch an eine (für mich) imposante Treppenanlage und ein hölzernes Geländer, über das man in den unteren Bereich schauen konnte. Die Schlaf- und Waschräume waren oben. In meinem Schlafraum standen viele Betten, im Waschraum gab es Reihen von Waschbecken (es könnten auch durchgehende Waschrinnen gewesen sein). Ganz oben unter dem Dach standen Schränke; hier mussten wir unsere Koffer verstauen und einen Vorrat an Kleidung (für eine Woche?) herausnehmen. Ich weiß noch, dass ich ein bisschen ratlos war und schließlich mein schönes neues Kleid mitnahm, dann wurde alles abgeschlossen. Als ich nach ein paar Tagen merkte, dass ich auch neue Wäsche brauchte, war es zu spät. Ich musste meine Sachen bis zum nächsten offiziellen Wäschewechsel tragen. An die vor Schmutz steifen Sohlen meiner Strumpfhose erinnere ich mich bis heute.
An einem der ersten Tage dort saßen wir Kinder alle in einem großen Raum. Es müssen viele Kinder unterschiedlichen Alters gewesen sein. Wir wurden in Gruppen eingeteilt und erhielten später auch Schulunterricht, an den ich mich aber nur dunkel erinnere. Ich glaube, ich kam nicht so recht mit. Der „Begrüßungstag“ ist mir vor allem deshalb in Erinnerung geblieben, weil uns in einer strengen Ansprache die Regeln des Heimes bekannt gegeben wurden, darunter auch, dass wir in Briefen nach Hause nichts Negatives berichten durften; die Briefe würden alle von den Erziehern gelesen, drohte man uns, und die, die womöglich Klagen (= Lügen) enthielten, nicht abgeschickt. Es wurde auch behauptet, dass unsere Eltern schriftlich Erlaubnis erteilt hätten, uns zu schlagen, wenn wir nicht gehorchten. Spätestens hier, das weiß ich noch genau, regte sich Widerspruch in mir. Dass man Kinder nicht (mehr) schlagen darf und meine Eltern so etwas nie unterschrieben hätten, wusste ich sicher und damit auch, dass die Erwachsenen hier nicht die Wahrheit sagten. War ich bis dahin hauptsächlich verschüchtert und darauf bedacht gewesen, alles richtig zu machen, war ich von nun an skeptisch und auf der Hut.
Drei Situationen sind mir besonders in Erinnerung geblieben:
- Das Essen: Wir bekamen zu jeder Mahlzeit bereits gefüllte Teller und mussten aufessen, was immer darauf lag. Das fiel mir besonders schwer, da ich solchen Zwang von zu Hause nicht kannte. Wenn auf dem Abendbrotteller zum Beispiel mit Blutwurst oder knorpeliger Sülze belegte Brote lagen, hatten wir ein Problem, denn das mochten die meisten Kinder nicht. Ich erinnere mich, dass mir die heruntergewürgten Bissen manchmal wieder hochkamen und auch, dass ich einmal versucht hatte, den Brei in meine Hand zu husten und dann in meiner Kleidertasche (die danach natürlich völlig verdreckt war) zu verbergen. Gab es zum Beispiel Leberwurstbrote, freuten wir uns. Dennoch war schon die schiere Menge für mich zu viel. Durst hatte ich dagegen öfter, warum, weiß ich nicht. Sicher bekamen wir zu den Mahlzeiten auch Getränke (?), doch dazwischen vermutlich nichts. Manchmal schlich ich mich abends aus dem Schlafsaal in den Waschraum, wo ich das Wasser aus der Leitung trank. Bei einer solchen Gelegenheit sah ich über das Geländer hinweg unten im Speiseraum ein Kind, das mit gesenktem Kopf, beaufsichtigt von einem Erwachsenen, noch immer vor seinem Teller saß. Wir wurden übrigens jede Woche gewogen, hatten wir nicht zugenommen, sollten wir noch mehr essen.
- Das Duschen: Normalerweise wuschen wir uns im Waschraum an Waschbecken, geduscht wurde in größeren Abständen in einem anderen Raum, an dessen Decke Leitungen mit mehreren Duschköpfen verliefen. Wir mussten uns ausziehen und in Gruppen nackt darunter stellen, während eine Erzieherin an der Wand stand und von dort aus das Wasser auf- und abdrehte. Einmal war das Wasser so heiß, dass es weh tat, und ein paar Kinder weinten deswegen, während andere versuchten, möglichst am Rand der dampfenden Kaskaden stehen zu bleiben oder nur kurz unter dem Wasserstrahl durchzuhuschen. Die Erzieherin am Wasserhahn herrschte uns an, dass wir mit dem Theater aufhören sollten; sie würde das Wasser sonst noch heißer drehen.
- Der Toilettengang: Meine Gruppe musste zum Spaziergang antreten. Ich war vorher nicht auf der Toilette gewesen und traute mich nicht, das zu sagen. Wir gingen in einer langen Zweierreihe endlos durch irgendwelche Straßen. Unterwegs musste ich dringender und dringender, und schließlich ging es in die Hose. Ich musste am Ende der Gruppe weiter mitlaufen und habe mich so geschämt. Im Rückblick bin ich mir nicht sicher, ob wir überhaupt allein zur Toilette durften oder zu festen Zeiten gehen mussten, denn normalerweise haben wir uns nicht frei im Haus bewegt. Das würde auch erklären, wie ich in diese Lage kommen konnte. So etwas wie Freizeit oder Rückzugsorte scheint es nicht gegeben zu haben. Ich erinnere mich hauptsächlich an ein Dasein in Gruppen, Unterricht, Malen oder Basteln an langen Tischen, gemeinsames Briefeschreiben nach Hause. Herumtoben oder Spiele zu zweit oder zu dritt kommen in meiner Erinnerung nicht vor. Dennoch fand ich eine Freundin, sie hieß XXX oder XXX (oder hatte einen ähnlich sanften Namen) und war ein besonders zerbrechliches Kind. Im Schlafsaal lag sie im Bett neben mir, und abends, wenn alle schliefen, schmiedeten wir unter unseren Bettdecken mit leiser Stimme Fluchtpläne. Wir wollten die Federbetten aufbauschen, um vorzutäuschen, dass wir darunter lagen, und dann an unseren Bettlaken aus dem Fenster klettern und nach Hause laufen. Ich glaube, dabei war ich die treibende Kraft, sie war ängstlich, da sie herzkrank war und wusste, dass sie sich nicht aufregen oder anstrengen durfte. Sie sagte, sie könne sonst sterben. Damals wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass auch ein Kind sterben kann.
Insgesamt scheinen hauptsächlich Kinder wie sie und ich, die als zu dünn, zu schwach oder sonstwie zu kränklich aufgefallen waren, nach XXX geschickt worden zu sein. Ob sich jemand dort tatsächlich erholte, kann nicht sagen. Ich tat es jedenfalls nicht. Als ich nach Hause kam, hatte ich weiter abgenommen. Meiner Mutter fiel auf, dass ich sehr still geworden war. Sie hatte mich einmal während der Kur besucht, was eigentlich nicht erwünscht und eine große Ausnahme war, es aber dennoch irgendwie durchgesetzt. Ich habe mich so gefreut! Wir gingen gemeinsam um (...) herum, das Wetter war trüb und feucht, und ich erzählte ihr alles! Sie redete mir die Fluchtpläne aus, dennoch fühlte ich, dass sie auf meiner Seite war. Dann fuhr sie wieder ab, und ich musste dableiben. Warum sie mich nicht einfach mitnehmen konnte, habe ich nicht verstanden. Später sagte sie mir, wie leid ihr das tat. Und dass sie, wenn sie alles vorher gewusst hätte, lieber mit mir eine Woche an die Ostsee gefahren wäre. Aber ob es diese Option überhaupt gegeben hätte? Gemeinsame Urlaube mit Mutter und/oder Vater (wir waren eine fünfköpfige Familie) blieben die Ausnahme. Oft verbrachten wir Kinder einen Teil der langen Sommerferien, wie es damals üblich war, in Ferienlagern, in denen wir zwar ebenfalls Heimweh, aber doch auch schöne Zeiten hatten. Da gab es Ausflüge, Feste mit selbst gestalteten Programmen, Lagerfeuer, Lärm und Spaß. In meiner Erinnerung war das ein himmelweiter Unterschied zum freudlosen, reglementierten und angstbeherrschten Gruppenleben in der Kinderkur.
Eine Kur habe ich nie wieder angetreten, auch wenn es mir in späteren Lebensjahren mehrmals geraten wurde. Da ist und bleibt die Erfahrung einer vollkommenen Abhängigkeit in prekären Umständen. Wahrscheinlich war es nicht überall so. Grundsätzlich war die Intention, kranken Kindern Hilfe und Pflege zu bieten, ja gut. Woran scheiterte es dann in manchen Fällen? Lag es an diesem speziellen Mikrokosmos eines Heimes, in dem Kinder über längere Zeit und ohne nennenswerten Kontakt zu ihren Familien einer Gruppe von Menschen ausgeliefert waren, die der Versuchung von Macht nicht widerstehen konnten – also einfach am jeweiligen Personal vor Ort? Oder gab es tatsächlich „pädagogische“ Richtlinien zum Umgang mit Kindern, die irgendwie nicht der Norm entsprachen – auch wenn sie „nur“ krank waren? Allgemein war ja der Umgang mit Kindern zur Zeit meiner Kindheit ein anderer als heute. Die Generation unserer Eltern und Lehrer hatte den Krieg und auch danach noch lange Hunger und Mangel erlebt. Erst im meinem Geburtsjahr 1958 erzählte mir meine Mutter zum Beispiel, waren in der DDR die Lebensmittelmarken und damit die Rationierung von Grundnahrungsmitteln abgeschafft worden. Den Kindern volle Teller vorzusetzen, war gut gemeint, und diese leerzuessen, „gehörte sich“ und wurde z.B. auch in der Schulspeisung von uns erwartet (doch wurden wir dort nicht dazu gezwungen). Wir waren in der Regel nicht anspruchsvoll, relativ selbständig und mit unserem Leben zufrieden. Fast alle Eltern waren berufstätig und tagsüber nun mal nicht da. Das Einfügen in Gruppen kannten wir aus Kindergarten, Schule und Hort, wo es manchmal auch etwas rauer zugehen konnte. Wir haben uns, wenn nötig, auf unsere Weise damit arrangiert, ohne Schaden zu nehmen, denke ich. Das war Teil unserer Normalität.
Anders verhält es sich mit meinen Erinnerungen an die Kinderkur. Warum sind mir hier vor allem Eindrücke von Unrecht, Zwang und Bedrohung geblieben? Mir war zwar schon als Kind bewusst, dass der Umgang mit uns nicht in Ordnung gewesen sein konnte, doch ohne die Berichte Betroffener, die seit einigen Jahren veröffentlicht werden (und weit Schlimmeres offenbaren), hätte ich meine unguten Erfahrungen eher als untypisch und persönliches Pech betrachtet. So aber scheinen sie sich doch in ein System einzufügen, das in ähnlichen Konstellationen bis heute anzutreffen ist und hinterfragt werden sollte. Deshalb habe ich nach all den Jahren meine wenigen Erinnerungen aufgeschrieben.
Persönlich notiert im September 2024
Hinweis: Das Zeitzeugnis wurde in Sachsen-Anhalt eingeordnet.
Bericht eingegangen: Mai 2025
Behandlungsansätze und Erziehungsmethoden während des Kuraufenthaltes, heutige Suche in der Aufarbeitung
- Kurort: DDR-Bezirk Magedeburg
- Kurjahr: 1976
- Kurkind: 8-jähriges Mädchen
- Anzahl der Kurerfahrungen: 1. Kur von insgesamt 1
- Grund des Kuraufenthalts: zu dünn
Triggerwarnung: Der folgende Bericht beschreibt persönliche Erfahrungen mit belastenden Erinnerungen und schweren Themen. Bitte atme einmal tief durch, nimm deinen Körper im Hier und Jetzt wahr. Du kannst den Text in Abschnitten lesen, um dich nicht zu überfordern.
„Lange habe ich überlegt, wie ich hier am besten schildere was mir passiert/widerfahren ist – wie ich es am besten in Worte fassen kann ohne mir weiterhin einzureden „Du bist bestimmt selbst daran schuld"!
Meine Eltern, meine Schwester und ich wollten endlich in die langersehnte neue Wohnung umziehen. Dies bedeutete für mich zwar einen Schulwechsel, aber ich war mir sicher auch dort bald neue Freunde finden zu können. Kurz vor dem Umzug offenbarte mir meine Mutter, dass ich zu krank/zu dünn wäre und ich erst mal für Wochen zur Kur müsste – dass wäre besser so für mich.
Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei gesundheitliche Probleme – noch war ich zu dünn! Ich war ein völlig normal gebautes 8jähriges Mädchen.
Der Tag der Abreise kam schnell, meine Mutter brachte mich zum Busbahnhof – winkte kurz und ich fuhr ins Ungewisse.
Wir waren nur Mädchen.
Im Heim angekommen wurden wir empfangen als wären wir schon wochenlang dagewesen. Jacke aus – Zimmerzuweisung – Koffer auf den Boden..., alles war sehr kalt, unpersönlich und es roch ekelhaft. Ich erinnere mich noch, dass ich von daheim Brote mitbekommen hatte mit meiner Lieblingswurst, ich hatte sie im Bus nicht gegessen und freute mich darauf, als eine Tante (so mussten wir die Erzieherinnen nennen) die Brotbüchse sah, musste ich sie sofort abgeben und habe sie nie wieder gesehen.
In der Bodenkammer sollte man dann aus seinem Koffer Wechselwäsche für 1 Woche herausnehmen - ich packte also Wechselwäsche für 7 Tage zusammen (wie ich es von zu Hause gewohnt war Unterwäsche also 7mal), als ich damit an der Tür der Bodenkammer ankam, standen dort zwei „Erzieherinnen" die die Sachen kontrollierten. Kurz gesagt ich musste 6x Wäsche zurückbringen, da ich diese nicht brauchen würde.
Die übriggebliebene Wäsche (alles nur 1x) wurde vor dem Zimmer an einer kleinen Garderobe abgelegt. Im Zimmer – ein Vierbettzimmer gab es außer 4 Betten nichts – keinen Schrank – keinen Nachttisch – einfach nichts!
Wir durften auch während dieser Zeit nicht sprechen oder uns miteinander bekannt machen – Namen wären nicht wichtig.
Wir wurden dann eingewiesen was wir zu tun und zu lassen hätten.
Nicht sprechen – Toilettenzeiten wurden vorgegeben – Waschen nur mit Erlaubnis uvm.
Danach ging es zum Essen.
Jetzt wusste ich, woher dieser schreckliche Geruch der überall im Gebäude hing, kam.
Ich war immer ein sehr aufgewecktes, verspieltes Kind, hatte nie Probleme damit mit fremden Menschen zu reden und auch zu sagen was mir nicht gefiel oder was mir nicht schmeckte. Ein „Glück" für mich, dass ich nicht die Erste war die dies tat! Nein, ein kleines vielleicht 6 Jahre altes Mädchen sagte „ich esse das nicht" - ich weiß bis heute nicht ob sie es jemals gegessen hat, denn als wir anderen gingen saß sie noch alleine im Speisesaal und wir sahen sie erst am nächsten Tag wieder.
Wir wurden um 6 Uhr geweckt und mussten uns nur mit Schlüpfer bekleidet im Gang aufstellen – jeder von uns bekam eine Bürste und wir mussten Bürstenmassage machen – gegenseitig.
Es war so peinlich, vor allem ja auch da wir nur eine Schlüpfer für eine ganze lange Woche hatten und jeder sich schämte.
Während wir das tun mussten standen „Erzieherinnen um uns herum und schauten zu. Bürsteten wir zu „sanft" - wurde uns „gezeigt" wie wir es zu tun hätten – nämlich so, dass wir am Ende überall völlig rot waren und manchmal sogar Blut floss.
Manchmal stand da auch ein (...) Mann in einem Kittel, sah aus wie ein Arzt, (...) wir mussten dann einzeln (...) in das (XXX)zimmer, wurden von Ihm gewogen (...) und bekamen einen Spritze in den Po – an mehr erinnere ich mich leider nicht.
Danach durften wir zur Toilette, was wir nur 3x am Tag durften und nicht wann wir wirklich mussten. Wir bekamen ein kleines Stück Toilettenpapier zugeteilt und die Tanten stellten sich vor die Toiletten und schauten uns zu.
Kaltes Wasser – alles immer unter Beobachtung.
Ich verstand das alles nicht, denn alles was ich bis dahin von daheim her gelernt hatte – war hier plötzlich falsch.
Danach zum Frühstück – es gab irgendwie immer das gleiche. Puddingsuppe mit einer dicken Hautschicht als wäre sie Tage alt. Eine kleine Tasse Tee war das größte Highlight, denn es gab nur 3x täglich etwas zu trinken – ich erinnere mich auch, dass wir danach ständig irgendwelche Tabletten schlucken mussten – niemand sagte uns weshalb und wofür.
Wir mussten immer alles aufessen – ob es uns schmeckte oder nicht. Wer das nicht tat, blieb solange am Tisch sitzen – bis er es tat.
Danach in den „Schulraum" es gab noch nicht einmal Lehrer, aber wir mussten alle an einer Holzbank sitzen und irgendeiner „Tante" zuhören – manchmal schrieben wir etwas von der Tafel ab – manchmal sollten wir rechnen, da wir alle nicht im gleichen Alter waren – aus heutiger Sicht völlig sinnlos.
Dann ging es wieder zur Toilette und zum Mittagessen! Das Mittagessen war wie ich finde das Schlimmste – es gab Zeug was ich vorher noch nie gesehen hatte – es roch übel, aber man musste aufessen. Wieder sah ich das kleine Mädchen sich sträuben, diesmal nahmen zwei „Erzieherinnen sie und zerrten sie in eine Tür die sich am Speisesaal befand – ich sah sie an diesem Tag nicht wieder.
Nachdem Mittagessen schlafen, dass kannte ich von zu Hause nicht, aber irgendwie war man seitdem man dort war immer Müde – lag es an dem Tee den man uns verabreichte oder woran sonst? Ich weiß es nicht – ausgepowert waren wir nun wirklich nicht.
Nachdem schlafen durften manche Kinder sich anziehen und spazieren gehen – andere nicht. Dies wurde immer einen Abend vorher entschieden! Immer nachdem Abendbrot gingen wir in den„Schulraum" und wurden dort von den Tanten bewertet.
An einer Pinnwand hing eine Tabelle wo jedes Kind jeden Tag Punkte bekam. Rote Punkte waren gut und Du durftest am nächsten Tag mit spazieren gehen, hattest Du blaue Punkte, weil Du eventuell zu oft nach der Toilette gefragt oder einfach nur gesprochen hattest, weil Du nicht „essen wolltest" oder ähnliches wurde man weggesperrt. In den 6 Wochen meiner „Kur" durfte ich lediglich 1x mit spazieren gehen!
Ich weiß noch genau, es hatte geschneit und manche Kinder durften Rodeln – ich musste mit dem Rücken zum Rodelberg ausharren und warten bis wir wieder zurückgingen.
Weggesperrt heißt; in der Bodenkammer gab es kleine fensterlose Räume – es gab kein Licht und man saß in völliger Dunkelheit – man wusste wenn man raus durfte nicht mehr ob es Tag oder Nacht war.
Einmal durften wir eine Karte für unsere Eltern schreiben – leider stand der vorgeschriebene Text an der Tafel und wir mussten ihn abschreiben und so wurde die Karte dann an unsere Eltern geschickt. Wir schrieben wie schön es doch wäre und wie gut das Essen sei, nichts davon stimmte, aber schrieben wir das nicht so – wurde die Karte nicht abgeschickt.
Ich weiß nicht wie lange ich schon dort war und wie oft ich gesehen hatte wie viele von uns sich weigerten zu essen – wie viele sich vor Ekel erbrachen – immer fingen die Tanten an sie mit Gewalt zu füttern, bis sie letztendlich auch ihr erbrochenes gegessen hatten. Danach wurde man in den Keller gebracht – was dort vorging – daran kann ich mich entweder oder will ich mich nicht erinnern.
Ich wollte es „besser" machen! Es gab Leber zum Mittag – schon der Geruch war pervers, dass konnte ich nicht Essen – ich legte mir in Gedanken einen Plan zurecht und hoffte auf Erfolg. Ich stopfte mir alles auf einmal in den Mund - passte genau auf das die „Tanten" weit genug von meinem Tisch entfernt waren und rannte zwei Stufen auf einmal nehmend los um im ersten Stock die Toilette zu erreichen, alles hineinzuspucken und schnell zu spülen.
Es ging schief – sie holten mich ein und ich aß mein Mittag aus der Toilette.
Ich habe es nie wieder versucht.
Das sind Dinge die man nie vergisst – bis heute habe ich Brechreiz wenn ich nur Leber sehe oder rieche.
Ich erinnere mich auch noch, dass sich meine Gedanken immer um „Flucht" drehten und ich Pläne schmiedete, wie ich aus diesem Heim herauskam.
Ich dachte, wenn ich sehr krank werden würde müsste ich ins Krankenhaus oder vielleicht würde ich sogar sterben.
Eines Nachts lies ich mich also aus dem Bett fallen in der Hoffnung mich zu verletzen, als die Tanten kamen tat ich so als sei ich Bewusstlos – sie versuchten mich „wach" zu rütteln und als das nicht gelang gingen sie einfach weg und ließen mich liegen.
Die ganze Nacht blieb ich ohne Decke auf dem Boden liegen, es war fürchterlich kalt, aber ich hielt durch in der Hoffnung das ich wenigstens eine schwere Erkältung bekommen würde..., leider ging auch dieser Plan schief.
Die Gedanken an Selbstmord bin ich bis heute nie wieder los geworden.
Dann kam der Tag an dem ich dort meinen Geburtstag hatte.
Ich hatte die Woche vorher beim „Wäschewechsel" der immer Sonntags in der Bodenkammer stattfand bereits das Kleid was ich mit hatte mit nach unten genommen und zog es an.
Nachdem Anziehen wurde ich zur Heimleitung gebracht – also kein Frühstück!
Ich musste das Kleid ausziehen, dass sei ein völlig normaler Tag – ich sei nichts besonderes.... keiner gratulierte.
Auch stand dort ein bereits geöffnetes Paket von meinen Eltern.
Ich sah Süßigkeiten und ein Paar Winterstiefel – die Stiefel durfte ich auf der Heimreise tragen – alles andere habe ich nie wieder gesehen.
Bis heute kann ich keine Geschenke öffnen solange andere dabei sind.
Ich tue das immer wenn sie weg sind und ich alleine bin.
Endlich der Tag der Abreise.
Es war still, wir sprachen nicht – wir saßen einfach nur da und liesen es geschehen.
Irgendwie waren wir keine Kinder mehr.
Meine Mutter holte mich vom Bahnhof ab.
Ich hatte mir im Bus alles genau überlegt was ich sagen wollte.
Im Heim hatte man uns verboten über das erlebte zu sprechen „die Eltern sonst ins Gefängnis oder müssten die Kur bezahlen".
Das war mir egal – ich wollte alles erzählen was mir passiert was...
Endlich zu Hause (neues zu Hause – sie waren ja ohne mich umgezogen).
Keiner fragte mich irgendwas – ich sprach nicht.
Erst als meine Mutter den Koffer öffnete und erschrak über den Dreck und den Geruch – platze alles aus mir heraus... - aber weit kam ich nicht – sie unterbrach mich und sagte „ich solle aufhören mit diesen Lügen"!
Ich habe nie wieder darüber gesprochen.
Zwei Tage später in die neue Schule – neue Klasse! Eingeschüchtert – Verstört und Wortlos stand ich da, konnte mich nicht vorstellen, ich wünschte mir so sehr im Erdboden zu versinken.
Im Unterricht machte ich in die Hosen, weil ich mich nicht traute zu fragen ob ich zur Toilette dürfte....
Heute bin ich 58 Jahre alt!
Habe Ängste (die ich mir beigebracht habe, gut zu überspielen) es ist soviel Traurigkeit in mir. Ich kann niemanden sagen „ich habe Dich lieb" - ich kann es niemanden zeigen. Tief in mir bin ich ein sehr einsamer Mensch, ich habe Mauern aufgebaut die ich nicht mag, aber zu meinem Schutz dienen.
Ich habe Alpträume die sich immer sehr ähneln, habe Angst vorm Schlafen – habe schwerste Schlafapnoe.
Ich habe Angst vor schwarzen Löchern, Fahrstühlen und (...) Türen.
Ich habe Angst vorm Alleinsein – lasse aber keine Nähe zu.
Ich vertraue niemanden – lasse mich nur sehr ungern anfassen...
Ich habe Jahrelang getrunken – nur so konnte ich mit anderen Menschen umgehen, Lachen und Spaß haben...
Und immer und immer wieder diese grüne Tür...
Vor einigen Jahren bin ich zurück zu dem Heim gefahren und durfte auch hinein. Es befindet sich im Umbau und soll wieder für Kinder hergerichtet werden „Ein Alptraum"!
(Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle wurde ein sensibler Inhalt zum Schutz der betroffenen Person und anderer entfernt)
Ich konnte nicht antworten.
Denn ja, ich habe einiges gefunden was wohl lieber verborgen geblieben wäre.
Ich habe die (...) Tür meiner Alpträume gefunden..., mir wurde übel als ich sie sah – ich wollte endlich wissen was dahinter geschehen ist, aber ich konnte einfach die Treppe nicht zu ihr nach oben gehen.
Ich sehe dort immer nur ein keines Mädchen was mit dieser Tante nach oben gehen muss – sie schließt mit einem großen Schlüsselbund die (...) Tür nach uns ab und ich muss mich ausziehen... - danach ist alles weg...“
Bericht eingegangen: Juni 2025
Jahrelange Belastungen, Verlassenheitsgefühl und Beziehung zu den Eltern
- Kurort: DDR-Bezirk Magdeburg
- Kurjahr: 1988
- Kurkind: 5-jähriger Junge
- Anzahl der Kurerfahrungen: 1. Kur von unbekannt
- Grund des Kuraufenthalts: unbekannt / „zur Erholung“
„(...) also, ich war im Kinderkurheim XXX - das war im Jahr 1988 - es muss um den XXX herum gewesen sein - ich erinnere mich daran, den XXXtag dort verbracht zu haben - insgesamt 6 Wochen… ich habe am XXX Geburtstag, d.h. ich war zu diesem Zeitpunkt noch 5 Jahre alt… das Thema spielte viele Jahre keine Rolle… etwa zur Mitte des Jahres 2022 ploppte dieses Thema gefühlt aus dem Nichts heraus auf - ohne dass ich im Vorfeld über irgendein Medium damit konfrontiert wurde… ab da begann ich für mich zu recherchieren (erstmal nur grob)… alle Einträge/Artikel, die ich im Netz zum Thema Kur-/Verschickungskinder finden konnte, waren alle noch recht „frisch“ (ab ca. 2020) - als wären in etwa zeitgleich ganz viele Betroffene erwacht… das Thema ist bei mir dann leider wieder etwas eingeschlafen… Es kam jedoch noch im gleichen Jahr wieder hoch - das war als ich Mitte Dezember dann in die Psychiatrie gegangen bin… gleich mal nebenbei, dies war nicht mein erster Berührungspunkt mit einer Einrichtung dieser Art - seit 2010 war ich ca. alle 4 Jahre in irgendwelchen stationären Therapien / in ambulanter Psychotherapie - meine Diagnosen wurden immer mehr… zu diesem Zeitpunkt jedenfalls befasste ich mich - ich hatte ja dort viel Zeit (u.a. weil ich eine knappe Woche wegen Covid-19 im Zimmer bleiben musste) - erneut mit diesem Thema - wesentlich weiter in die Tiefe gehend… ich habe u.a. in Facebook eine Gruppe zu diesem Heim gefunden und die Mitglieder, die etwas gepostet &/o. kommentiert haben, angeschrieben und befragt - u.a. mit dem Hintergrund meine Erinnerung(sfetzen) abzugleichen… gleich mal vorab, es gab positive, negative & gar keine Rückmeldungen… die negativen deckten sich dann tatsächlich mit meinem Erlebten, auf was ich gleich näher eingehen werde… ein paar wenige positive Momente gab es sicherlich auch bei mir, aber im Gesamtverhältnis nicht ins Gewicht fallend… bevor ich nun meine Erinnerungen/Erlebnisse wiedergebe noch folgendes - das Thema ist dann im Zuge einer Trennung und allen Folgen wieder eingeschlafen und jetzt ein knappes Jahr später ist es wieder da… und nun zu meinen Erinnerungen… ich kann mich an meine Rückkehr erinnern - ich habe bitterlich geweint - zu diesem Zeitpunkt sicherlich vor Freude… dort habe ich auch viel geweint - ich hatte stets schlimmes Heimweh… Stichwort: Heimwehtabletten - konnten ja Placebos, aber auch, für besonders heimwehkranke Kinder, echte sedierende Medikamente sein… keine Ahnung, was ich bekam, aber ich bekam welche… ab einer gewissen Zeit am Abend gab es scheinbar nichts mehr zu trinken - ich erinnere mich an ein starkes Durstgefühl - das hat mir übrigens auch wer anders, den ich kontaktiert hatte, mittgeteilt/bestätigt… ich meine mich daran erinnern zu können, dass wir (ein paar Kinder) durch die Gänge geschlichen sind und etwas zu trinken organisieren wollten - ist aber unsicher… das sogenannte Wassertreten und kalt duschen (am Morgen) habe ich unangenehm in Erinnerung - wir wurden mit einem Schlauch abgespült - ich nehme es rückblickend demütigend war… mein einziges und Lieblingsplüschtier (mein Affe „XXX“) wurde mir temporär weggenommen… auch glaube ich, dass ich von einer Aktivität ausgeschlossen worden bin (einmal?, öfters? - keine Ahnung) - ich meine mit einem anderen Kind im Haus gewesen zu sein, während die anderen draußen waren… Zähne putzen mit dem Finger, wenn man seine Zahnbürste vergessen hat, stand auch auf dem Plan - auch das bestätigte mir ein anderer Kontakt… manches, was mir noch im Kopf rumgeistert, fühlt sich zu schwammig an - deswegen bringe ich das jetzt nicht mit aufs Papier… ausreichend für psychischen/seelischen Schaden ist meiner Meinung nach allein die Tatsache, dass mich meine Eltern weggegeben haben - weit weg (ich lebte damals in XXX) und das für eine für ein Kind gefühlt lange Zeit - ich wurde aus meinem vertrauten Lebensumfeld herausgerissen / meinen Eltern (Bindungspersonen) weggenommen… ja, alleine das reicht für ein Trauma aus - egal, was da oben noch passiert ist… ich weiß nicht, ob ich wissen will, was da eventuell noch im Verborgenen liegt… was ich dazu sagen „muss“, es lag zu meinen Eltern sehr wahrscheinlich schon davor keine sichere Bindung vor, weshalb ich für Geschehnisse dieser Art anfälliger war als sicher gebundene Kinder… es hatte sicherlich seine Gründe, weshalb ich ein dünnes/mageres Kind war (Essensverweigerung/„Magersucht“ = Gefühl von Kontrolle, wenn sonst „nichts“ kontrollierbar ist)… ich vermute, dass schon zu diesem Zeitpunkt ein Entwicklungs-/Bindungstrauma vorlag (was bis heute nicht aufgearbeitet ist), wodurch die Erfahrungen dort sicherlich noch einschneidendere in der Wahrnehmung waren… Ich habe gestern die Petition unterschrieben… spenden konnte ich leider nicht, da ich finanziell eher schlecht situiert bin (befinde mich derzeit mal wieder im Krankenstand / Krankengeldbezug)… ich wünsche mir Aufklärung, Anerkennung (dass mir und anderen Unrecht geschehen ist), Gerechtigkeit und wenn auch eher utopisch „Entschädigung“… ich bin mein Leben lang hinter meinen (wahren) Möglichkeiten zurückgeblieben… die schlummernden Potenziale wurden / habe ich nie wirklich aktiviert… wie auch, wenn man mit verschiedenen Symptomatiken hadert und das Leben einer einzigen Kompensation gleicht… weil das Nervensystem immer latent in der Übererregung ist… und im weiteren Lebensverlauf habe ich immer mehr negative Lebensereignisse (z.T. weitere Traumata) angezogen… das soll erstmal reichen. (...)“
Thüringen
Bericht eingegangen: Oktober 2025
Bundesland Thüringen
Kinderkur in der DDR 1980er Jahre: Frühkindliche Trennungen, Ängste, Heimweh, bleibende körperliche und seelische Folgen
- Kurort: DDR-Bezirk Suhl
- Kurjahr: 1980
- Kurkind: 5-jähriges Mädchen
- Anzahl der Kurerfahrungen: 1. Kur (insgesamt 2)
- Grund des Kuraufenthalts: „Infektanfälligkeit/Husten“
Bericht 1. Kur
Zur ersten Kur wurde ich mit etwas über 5 Jahren geschickt, wegen Infektanfälligkeit und Husten.
Die Erinnerungen sind aufgrund des Alters ziemlich bruchstückhaft und ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass alle 100%ig korrekt sind oder wie ich mich generell in der Zeit gefühlt habe. Einiges woran ich mich erinnere, deckt sich aber mit den Aussagen zu den Behandlungen im Informationsblatt (XXX), welches die Eltern vorab bekommen haben.
Das Kurheim war ein großer Altbau mit hohen Decken, wohl auch die Stätte weiterer Behandlungen, das XXX. Zu wievielt wir Kinder auf dem Zimmer waren, weiß ich nicht mehr. Es war jedenfalls für mich als Neubau-Kind kein kleiner Raum. Ich habe vor Augen, dass ich ein Fach in einer Kommode neben den Betten für meine Sachen hatte.
Die Kur war als Kneipp-Kur ausgeschrieben. In schlimmer Erinnerung sind mir daher auch teilweise die Behandlungen geblieben. Insbesondere die Saunagänge waren furchtbar für mich und ich bin seitdem stark klaustrophobisch. Wir wurden in einen Sauna-Raum geführt, in dem es sehr heiß und stickig war. Wir mussten uns in Reih und Glied auf Stühle/Bänke setzen, ich glaube auf zwei oder drei „Etagen“. Es wurde uns verboten, sich zu bewegen, wir sollten still sein und dann wurden wir Kinder (soweit ich mich erinnere allein) im Raum eingeschlossen. Ich erinnere mich an nur eine Tür mit einem kleinen Sichtfeld und wenig Licht. Ich weiß noch, dass die Hitze für mich jedes Mal unerträglich schien. Ich hatte das Gefühl, ich kann dadurch nicht richtig atmen und muss ersticken. Die Paarung mit dem Bewegungsverbot und der fehlenden Möglichkeit, einfach die Tür öffnen zu können und mich dem zu entziehen, war so schlimm für mich, dass ich immer wieder Todesängste ausgestanden habe. Ich denke, das waren den Umständen geschuldete Panikattacken, durch die ich da als Kind allein durchmusste.
Ich erinnere mich an schmerzhaft kaltes Wassertreten im Kneippbecken. Ich erinnere mich, dass wir in einem gekachelten Raum nackt vor die Wand gestellt wurden und mit hartem Wasserstrahl aus einem Schlauch eiskalt abgespritzt wurden. Ich erinnere mich daran, dass wir nach dem Saunieren oder vielleicht auch so, auf Liegen in einem Laubengang/Wintergarten oder Ähnlichem an der frischen Luft liegen mussten. Fest von Schultern bis Fuß eingewickelt in Decken, mussten wir ohne Bewegungsfreiheit eine halbe Stunde oder auch länger still liegen. Das war eine Qual für mich. Ich war ja auch kein Mittagsschlafkind. Allein das Erleben, warm eingepackt wenigstens an der frischen Luft zu liegen, hat mich das aushalten lassen. Ich erinnere mich, dass ich manchmal sehr große Not hinsichtlich der Toilettengänge hatte. Wahrscheinlich gab es Toilettenzeiten? Es ging jedenfalls so weit, dass ich einmal beim Abduschen nach einer Behandlung unter der Dusche pullern musste, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich war zwar allein, habe mich aber so furchtbar vor mir selbst dafür geschämt. Die Scham hat mich lange im Leben begleitet. Besonders in Erinnerung ist mir diesbezüglich auch die Nacht vor der Abreise geblieben. Uns wurde generell verboten, nachts auf die Toilette zu gehen, damit Ruhe herrscht. Irgendwann habe ich mich doch mal voller Angst vorm Erwischt werden rausgeschlichen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich weiß, dass mir in dieser letzten Nacht auch sehr kalt war, ich nicht schlafen konnte und tausend Tode gestorben bin, weil ich auf Toilette musste. Ich glaube, in dieser Nacht hatten sie uns auf den Zimmern eingeschlossen. Zumindest habe ich das ganz viel später mal erzählt.
Wie das Essen war, weiß ich nicht mehr wirklich. Ich war das, was man heute einen picky eater nennt. Ich mochte bestimmte Konsistenzen nicht, bei denen es mich gehoben hat, z.B. auch kein fettiges Fleisch. Zuhause wurde darauf Rücksicht genommen. Ich kann mir daher vorstellen, dass ich in der Zeit nicht gut gegessen habe und vielleicht auch gehungert hab oder unangenehm auffällig beim Essverhalten war. In meiner darauffolgenden Schulzeit hatte ich dann das, was man heute eine Essstörung nennen würde. Sprich, die Schnitten sind eher im Müll gelandet und das Schulessen habe ich auch oft nur notdürftig freiwillig angerührt.
An andere Dinge kann ich mich jedenfalls auch so gut wie überhaupt nicht erinnern. Auch nicht an Personen. Ich erinnere mich aber dunkel an so eine Art Vorschule. Ich weiß noch, dass wir auch mal im Wald spazieren waren (der war dort schön), auch mit uns gebastelt wurde und Geburtstag gefeiert. Ich erinnere mich, dass ich bei einem Spaziergang ein Blümchen gepflückt habe, was später dann, wieso auch immer, im Gemeinschaftsraum zertreten auf dem Fußboden lag. Das hat mich sehr erschüttert und ist hängen geblieben. Eigentlich ziemlich banal, hat es mich doch total aus der Fassung gebracht. Ich denke, das sagt viel über mein seelisches Befinden aus. Es wurde auch Post an die Eltern geschrieben. Natürlich nicht von uns selbst, wir waren zu klein. Was die Post an uns anging, meine ich mich nur an die Enttäuschung zu erinnern, wenn der Name beim Verteilen nicht aufgerufen wurde. Ich bilde mir ein, dass auch jemand mal ein Päckchen bekommen hat. Vielleicht das Geburtstagskind?
Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich Heimweh hatte. Aber bestimmt, da ich auch später in anderen Situationen immer wieder Heimwehgeplagt war. Solange ich zurückdenken kann, hatte ich sehr starke und existenzielle Verlustängste, sicher aufgrund der Prägungen durch eine frühe Krippenzeit – meine Mutter hatte 1975 nur 8 Wochen Mutterschutz und musste mich danach in die Krippe geben. Ich war dadurch allerdings auch immer schon sehr leidensfähig, eher still und zurückhaltend, überangepasst und gut im Aushalten. Ich habe wohl frühzeitig lernen müssen, die Dinge mit mir allein auszumachen. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ich außer der klaustrophobischen Anwandlungen, die sich später irgendwann meinen Eltern zeigten, wohl keine nennenswerten Auffälligkeiten nach der Kur gezeigt habe. Meine Mutter kann sich nicht erinnern, dass ich direkt nach meiner Rückkehr etwas Negatives erzählt hätte. Die Kur jedenfalls fand dann ihren schrecklichen Abschluss, als ich auf der Heimfahrt nach Hause auf dem Fahrrad – mein Vater holte mich vom Bus auf dem Bahnhof ab – meinen geliebten Teddy verloren hab.
Wenn ich jetzt zurückblicke, kommen mir Worte wie seelische und körperliche Misshandlung in den Kopf. Dass mir das auf eine Art und Weise geschadet hat, das war mir schon lange klar. Thema Klaustrophobie, jahrelanges Nägelkauen, noch mehr Verlustängste. Ich habe so lange ich zurückdenken kann oft thematisch wiederkehrende Alpträume. Dort geht es z.B. um fehlende Möglichkeiten, mich zu erleichtern, dass ich von jemandem angekotzt werde oder meine 7 Sachen nicht zusammensortiert bekomme und zu spät zu einer Abreise komme. Wer weiß, was da in den Erinnerungen noch begraben liegt. Ich habe neben der Klaustrophobie auch noch ein paar andere hinderliche Ängste und Befindlichkeiten im Leben, die ich langsam durch- und abarbeite. Ich bin z.B. chronisch autoimmunkrank, hab Migräne, bin hochsensibel, hab ein dysreguliertes Nervensystem und eine Aufmerksamkeitsstörung, auch eine Bindungsstörung und kein Urvertrauen. Ich bleibe hinter meinen persönlichen Möglichkeiten zurück. Ich denke, dass die meisten Themen ihren Ursprung in diesen frühkindlichen Erfahrungen haben oder diese Kur bereits Vorhandenes durch die frühe Krippenzeit verstärkt hat.
Was so eine Situation tatsächlich für ein kleines Kind in diesem Alter bedeuten mag, welche seelische Belastung, welchen Druck und Überforderung das darstellt, ist mir allerdings erst richtig klargeworden, als ich selbst Mutter geworden bin. Wahrscheinlich war in meinem Fall nicht alles schlecht oder nicht jede Erzieherin unmöglich, aber die 6-wöchige Trennung und das, was dort und in diesem System sonst so alles gelaufen ist, hat allemal gereicht, um Kinder zu traumatisieren. Man war getrennt von den Eltern, ausgeliefert und musste alles, was mit einem gemacht wurde allein aushalten. Mir fällt es sehr schwer, bei diesen Themen gefühlsmäßig tiefer zu gehen. Ich bin eigentlich ein sehr empathischer Mensch, gefühlsbetont, aber hier spalte ich mich irgendwie von mir selbst und den Gefühlen ab. Die Emotionen sind einfach zu viel, wenn ich mir vorstelle, ich war dieses kleine Kind, dem all das widerfahren ist. Und wie muss es erst den Menschen gehen, die dabei noch wesentlich Schlimmeres erlebt haben?!
Hinweis: Das Zeitzeugnis wurde in Thüringen eingeordnet. Nach dieser ersten Kur folgte eine zweite Kur im DDR-Bezirk Rostock. Den Bericht von Oktober 2025 dazu findest du auf den Unterseiten unter Mecklenburg-Vorpommern → Kinderkur in der DDR 1980er Jahre: Jugend, Alltag, Ernährung, Körperbild und soziale Beziehungen.
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